Frage: Beziehst du dich bei der Arbeit auf frühere Übersetzungen?
Antwort: Zunächst bin ich allein mit Dante. In einem zweiten Arbeitsstadium sehr intensiv. Zwar gibt es keine 'klassische' Übersetzung wie Schlegel für Shakespeare oder − in entgegengesetzter Art − Voss für Homer. Insofern ist die Bahn frei. Ich ignoriere nach Stichproben die bürgerlich-glatten Übersetzungen wie die von Gildemeister. Ich verstehe die Gründe, die Stefan George und Rudolf Borchardt zu ihrer abweichenden Form geführt haben. Sie wagten eine neue Sprache; Borchardt konsequenter als George. Meine Beschäftigung − nicht die mit Dante, wohl aber mit deutschen Übersetzungen − begann mit der von Borchardt. Sie ist gereimt und wie die 'bürgerlichen' im Elfsilben-Takt, aber sie simuliert mittelhochdeutschen Wortschatz und Syntax. Sie ist ein Protest gegen die deutsche Sprachgeschichte, besonders gegen die Dominanz der Lutherbibel-Sprache und die Verdrängung süddeutscher Sprachelemente. Borchardt fing damit wohl vor dem Ersten Weltkrieg an, aber die Hauptarbeit lag in den Jahren 1923 bis 1930. Die deutsche Sprache, dachte Borchardt, kann die Commedia nicht mehr aufnehmen, sie ist verbraucht und verdorben. Er versuchte, sie in Anlehnung an mittelhochdeutsche Texte und Schweizer Dialektformen neu zu erfinden. Sein Plan, gross und gelehrt gedacht, der Bibelübersetzung von Martin Buber vergleichbar, ist gescheitert. Das war mein Ausgangspunkt. Mit 'gescheitert' meine ich nicht, dass sie nur eine, allerdings schön gedruckte Auflage erlebte, sondern dass es unmöglich scheint, dass ein Einzelner eine Sprache in deren späten Entwicklungszustand erfinden könnte. Neue Übersetzer mussten zurückrudern zur vorhandenen Syntax, zum gegebenen Wortschatz. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde kein vergleichbarer Versuch gemacht. Nur Georg Peter Landmanns Prosaübersetzung von 1997 versuchte eine vorsichtige sprachliche Neuerung im Anschluss an Stefan George. Den Reim gab er ganz auf, nicht die altertümelnde Patina. Ich konnte weder mit Borchardts Paukenschlag fortfahren noch mit Landmanns feinsinnigem Kompromiss. Ich komme mit reduzierten Formen aus: schlichte, aber konsequent nicht-technokratische Prosa. Freie Rhythmen geben ihr einen gewissen Fluss. Gebrüll und Fachterminologie spart sie aus, aber weder gelegentliche Fremdwörter noch lateinische Zitate, die ich anschliessend übersetze.
Das Übersetzen wirft noch viele weitere Fragen auf. Hier sollte nur plausibel werden: Die Verluste einer Prosaübersetzung braucht nicht zu verschweigen, wer einlädt, Dante zu lesen und dazu eine Übersetzung in deutscher Prosa vorlegt.
K. F.
Note
1 Selbst wo das Dizionario della Divina Commedia von G. Siebzehner-Vivanti, Florenz, Olschki, 1954, S. 383, § 1 Stellen anführt, bei denen «parere» die Bedeutung von 'sembrare' habe, z.B. Inf. xxvi 124 und Purg. ii 66, sehe ich ein objektives Phänomen beschrieben.
2 U. Eco, Quasi dasselbe mit andren Worten. Über das Übersetzen, München, Hanser, 2006, S. 288.
Nota
Il testo che qui si pubblica è stato letto dall’autore all’Università di Basilea il 30 marzo 2010, nel seminario Tradurre Dante: una nuova traduzione in tedesco della ‘Commedia’, diretto nel semestre primaverile 2010 da Kurt Flasch e Maria Antonietta Terzoli, come complemento al corso Dante und Boccaccio, tenuto da Kurt Flasch nel semestre autunnale 2008 presso l’Istituto di Italianistica (“Lezioni basilesi” 2008). In particolare questa intervista fittizia fra il traduttore e l’immaginario intervistatore costituisce una sorta di epitesto pubblico d’autore sulla sua traduzione integrale della Commedia, d’imminente pubblicazione presso l’editore S. Fischer di Frankfurt am Main (2011). Il dialogo sarà compreso anche nel volume su Dante, Einladung, Dante zu lesen, che accompagnerà la traduzione.M. A. T.
Anmerkung
Der hier publizierte Text wurde am 30. März 2010 an der Universität Basel vorgetragen, im Rahmen des vom Autor und von Maria Antonietta Terzoli geleiteten Seminars zur Übersetzungsproblematik Dantes (Tradurre Dante: una nuova traduzione in tedesco della ‘Commedia’), eine Ergänzung der Vorlesung über Dante und Boccaccio, die Kurt Flasch im Herbstsemester 2008 am Institut für Italianistik abgehalten hatte (“Lezioni basilesi” 2008). Das fiktive Interview zwischen dem Übersetzer und seinem imaginären Befrager stellt eine Art von öffentlichem, auktorialen Epitext zu der integralen Übersetzung der Göttlichen Komödie dar, welche in Kürze in Frankfurt, im Verlagshaus S. Fischer erscheinen wird (2011). Der Dialog wird überdies in dem Dante gewidmeten Begleitband der Übersetzung (Einladung, Dante zu lesen) enthalten sein.M. A. T.